Menschenrechte und die Ethik des Buddhismus

Menschenrechte und die Ethik des Buddhismus

Silawansa Thera, Sri Lanka
Auszüge aus einer Rede, gehalten bei der UN-Menschenrechtskonferenz in Wien im Juni 1993

Ich bin sehr glücklich darüber, daß ich heute die Möglichkeit habe, zu Ihnen über die Menschenrechte von einem buddhistischen Standpunkt aus zu sprechen.

Buddhismus, der vor rund 2500 Jahren in dieser Welt eingeführt wurde, spricht nicht über ein Konzept von Menschenrechten in einem modernen Sinn. Sidhatta Gotama, der historische Buddha, verkündete seine Lehre – das Dharma – als ein universales Gesetz. Hierbei spricht er nicht über den Menschen als Zentrum von allem, sondern von Harmonie aller Wesen der Welt. Diese hat er in 3 Gruppen unterteilt, Pflanzen und unbelebte Natur, Tiere und Menschen. Der Buddha begriff diese drei Gruppen als eine Einheit. Deshalb, seit der Mensch Teil dieses Ganzen ist, untrennbar verbunden mit den anderen zwei Gruppen, mit seiner Existenz davon abhängig, kann er keine exklusiven Rechte für sich beanspruchen. Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Lehre des Buddha ist, dass sie ohne zeitliche oder räumliche Grenze gilt. Sie ist heute genauso wertvoll wie vor 2500 Jahren und in der Tat nicht nur in Indien, wo sie im Original gelehrt wurde, sondern in der ganzen Welt.

Aus der Sicht dieses universellen Bandes der Menschen mit unbelebter Natur und Pflanzen, Tieren und auch dem gegenseitigen Band zwischen menschlichen Wesen, entstehen zahlreiche Pflichten, die als Mensch beachtet werden müssen, um diese Harmonie zu erhalten. Im Buddhismus werden diese Pflichten SILA genannt. Dies sind keine Befehle, die von einem göttlichen Wesen gegeben wurden, sondern Verhaltensregeln, denen man folgen sollte, um ein harmonisches und konfliktfreies Leben in der Gesellschaft zu führen. Diese sind:

  • Kein Lebewesen zu töten oder Anlass für Schaden und Leid eines anderen zu sein.
  • Nicht auf illegale Weise oder auf Kosten anderer reich zu werden.
  • Andere nicht sexuell zu missbrauchen.
  • Nicht zu lügen oder andere durch Sprache zu verletzen.
  • Keine giftigen Substanzen einzunehmen oder andere dazu anzuregen.

Das erste SILA weist nicht nur darauf hin, dass wir andere Lebewesen nicht töten sollten, sondern wir sollten uns auch jeglicher Unterdrückung, Missbrauch, Diskriminierung, Folterung und jeglichem physischen und geistigen Quälen anderer Lebewesen enthalten. Niemand sollte die Basis der Existenz einer anderen Person wegnehmen oder sie in Armut oder Dürftigkeit fallen lassen. Dies gilt nicht nur für Menschen, Tiere und Pflanzen, sondern auch für unbelebte Natur wie Berge und Flüsse.

Der Buddha betonte die Abhängigkeit aller Lebewesen von Nahrung und Schutz als Grundbedürfnissen. Diese Grundbedürfnisse sollten nicht befriedigt werden – wie das zweite SILA sagt – durch schlechten Lebensunterhalt oder durch Stehlen. Um ein korrektes Leben zu führen, sollten die folgenden fünf Berufe vermieden werden: Handel mit Menschen, Handel mit Tieren, Handel mit Fleisch, Handel mit Waffen und Gift, Handel mit berauschenden Substanzen. Wenn diese genannten Berufe ausgeübt werden, werden andere Lebewesen verletzt und ihr Recht auf Leben zerstört. Dieses SILA bezieht sich auch auf die Unterdrückung anderer Kulturen und Menschen aus selbstsüchtigen Gründen.

Buddhismus verdammt nicht die Sexualität. Der Buddha nannte jedoch den Missbrauch sexuellen Verlangens eine Verletzung menschlicher Würde. Jede Art Sexualität, die durchdrungen ist von Praktiken wie Dominanz, Ausnutzung von Armut und Abhängigkeit, sollte vermieden werden. Dies schließt insbesondere Kindesmissbrauch und Vergewaltigung mit ein. Dieses SILA bedeutet: Abstand zu halten von jeder Art sinnlicher Befriedigung auf Kosten anderer.

Falsche, verletzende Sprache zerstört die Harmonie menschlicher Beziehungen und der Gesellschaft. Richtige Sprache hat nicht immer den sofortigen Effekt einer körperlichen Handlung. Wie auch immer, das gesprochene und geschriebene Wort hat aber große Konsequenzen sowohl positiver als auch negativer Art. Um eine kooperative soziale Umgebung hervorzurufen, ist es notwendig, daß die Menschen die Möglichkeit haben, sich zu treffen, einen Dialog zu führen und die Freiheit haben, Informationen auszutauschen. Das Ziel aller Kommunikation ist, die Achtsamkeit zu vermehren. Dadurch wird es Menschen möglich, die höheren Qualitäten des Lebens zu begreifen und in der Gesellschaft harmonisch zu handeln. Sprache ist das bedeutsamste Medium der Kommunikation und arbeitet für die Stabilität einer Gesellschaft. Aus diesem Grunde ist es wichtig, daß jede Person das Recht hat, ihre Sprache zu gebrauchen oder in sprachlicher Kommunikation mit ihrer Kultur zu sein. Aus vielen Gründen hat der Buddha gesagt, daß rechte Rede von allen Mitgliedern der Gesellschaft praktiziert werden sollte. Einer dieser Gründe ist die Fortsetzung sozialen Zusammenhalts. Eine Grundbedingung für sozialen Zusammenhalt ist gegenseitiges Vertrauen. Ungerechte Rede nimmt diese Basis des Vertrauens weg. Dadurch wird spirituelle Entwicklung behindert und das führt zu Desintegration und mangelnder Solidarität in einer Gesellschaft.

Das Vergnügen mit berauschenden Substanzen führt nicht nur zu körperlichen und geistigen Krankheiten, sondern es macht auch abhängig. Aus diesem Grunde empfiehlt der Buddha, von diesem ‚Vergnügen‘ zu lassen. Um zu verhindern, dass Andere in eine Situation kommen, sich damit zu ‚vergnügen‘, sollte man nicht mit diesen Substanzen handeln.

Die fünf SILA’s sind nicht gemeint als bloße Worte für Pflichten oder Verhaltensweisen, die man gewohnheitsmäßig ausführt, sondern jeder sollte die Gründe für das Brechen dieser Pflichten mit dem Resultat, das anderen Leid zugefügt wird, genau untersuchen. Nur wenn wir die Ursachen untersuchen und entfernen (nicht durch künstliches Annehmen und Akzeptieren von bestimmten Verhaltensregeln) besteht die Möglichkeit, eine wirkliche Harmonie und soziales Leben für alle Wesen hervorzubringen.